Samstag, 21. August 2010

Denkfehler: Ein schlüpfriges (Pseudo-)Argument

Der nächste auf meiner Liste von Fehlschlüssen, die man meiden sollte.
Das Dammbruch-Argument, im Englischen in meinen Augen noch schöner benannt: Slippery slope, der schlüpfrige Abhang. Grob gesagt bedeutet es, zu argumentieren, dass ein Schritt in eine bestimmte Richtung dadurch falsch sei, weil er zwangsläufig dazu führen würde, dass die Bewegung daraufhin weiter in diese Richtung gehen würde, bis ein Punkt mit negativen Folgen erreicht wird.
Prinzipiell sind solche Fälle denkbar, aber in der Praxis ist sehr selten diese Abfolge der Ereignisse belegbar; dies würde auf alle Fälle weitere Argumente erfordern, und eine lückenlose, Kette zwangsläufig logisch aufeinander folgender Schritte von Ursachen und Wirkungen. In der Praxis vergessen Menschen, die dieses Argument benutzen, dass jedes Argument nur dann gültig ist, wenn es in jedem Fall anwendbar ist. Ansonsten müsste es erweitert werden, um zu belegen, dass der vorliegende Fall einer von denen ist, in denen es anwendbar ist. Genau das würde durch eine derartige Kette von Schlüssen erfolgen, aber solange die unterbleibt (was, milde ausgedrückt, meist der Fall ist) ist das Ergebnis ein Trugschluss.
Ohne solche stützenden Hilfsargumente besteht das slippery slope-Argument den einfachsten Test für seine Gültigkeit nicht. Die Frage, ob man mit der gleichen Argumentationstechnik zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen kann.
Das Argument versucht, eine Handlung, den ersten Schritt eben, zu verhindern; übersieht dabei allerdings, dass das Unterlassen einer Handlung ebenso eine Handlung darstellt und sich entsprechende Schritte in die umgekehrte Richtung vorstellen lassen. Ein gutes Beispiel wäre wohl die zur Zeit immer wieder geäußerte Befürchtung, dass die Gentechnik im Lebensmittelbereich Auswüchse zeigt wie die vielzitierte (und nichtexistente) Tomate mit Fischgenen. Nun lässt sich nicht leugnen, dass die Gentechnik, ebenso wie andere Technologien auch, Einschränkungen unterworfen werden sollte. Niemand käme schließlich auf den Gedanken, es wäre sinnvoll, Autofahrer ohne Geschwindigkeitsbegrenzung durch die Innenstädte brettern zu lassen. Oder sämtliche Sicherheitsvorschriften für Elektrogeräte fallen zu lassen. Wenn nun aber jemand so tut, als würde Gentechnologie grundsätzlich und zwangsläufig früher oder später zu katastrophalen Folgen führen; wenn er sagt, die Gentechnik muss prinzipiell verboten werden, unabhängig von ihrem Sinn in jedem einzelnen und für sich abgewogenen Fall; wenn er das Szenario aufbaut, jede erlaubte Gentechnik wird dazu führen, dass letzten Endes jede gentechnische Methode erlaubt werden würde, dann muß man sagen: Ebenso würde bei jedem Verbot der Gentechnik damit zu rechnen sein, dass irgendwann jeder Einsatz von Kulturpflanzen verboten würde. Deren Gene sind schließlich auch, wenn auch nur durch Zucht und Kreuzung, manipuliert. Und das Verbot der Genmanipulation auf eine Weise würde das Verbot weiterer Methoden nach sich ziehen.
Oder, um einige Jahrzehnte zurück zu gehen und ein heutzutage und hierzulande zumindest nicht mehr ganz so kontroverses Thema als Beispiel zu nutzen:
„Wenn man die Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch zulässt, wer weiß, ob das nicht der erste Schritt einer Entwicklung ist, die an ihrem Ende die Abtreibung bis unmittelbar vor der Geburt erlaubt?“
Im Sinne einer hundertprozentigen Gewissheit: Keiner. Aber wenn man den Schwangerschaftsabbruch vollständig verbietet, wer weiß, ob das nicht der erste Schritt einer Entwicklung ist, Frauen dazu zu zwingen, schwanger zu werden...?
Wie heißt es doch so schön: „Vorhersagen sind schwer zu treffen, vor allem über die Zukunft.“
Wer so argumentiert tut so, als ob die Zukunft für ihn ein offenes Buch wäre. Aber das ist sie glücklicherweise für niemanden. Das würde das Leben sonst auch entsetzlich langweilig werden lassen. Was nicht heißt, dass ich irgendwas gegen das Wissen über die Lottozahlen der nächsten Woche einzuwenden hätte...

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